Zur Geschichte der Glocken Inschriftenkommision

Zur Geschichte der Rössinger Glocken

von Helga Fredebold

Vorwort

Als im Jahre 2008 eine alte Glocke im Rössinger Kirchturm von einem Glockensachverständigen stillgelegt wurde weil sie nicht mehr betriebssicher war, nahm ein Projekt seinen Anfang, das über vier Jahre viel Einsatz, Erfindungsgabe, technisches Können und nicht zuletzt viel Geld und Opferbereitschaft von den Rössingern und den aktiv Beteiligten erforderte. An dieser Stelle sei allen dafür herzlich gedankt. Herr Friedrich Kämpfer als Kirchenvorstandsmitglied war Koordinator und Organisator des ganzen Unternehmens und seiner Begeisterung für die Glocken und seinem unermüdlichen Einsatz ist es zu danken, dass unsere alte Glocke wieder an ihrem angestammten Platz im Kirchturm hängt.

Eine mittelalterliche Glocke sollte restauriert werden. Dadurch wurden unsere Glocken ins Blickfeld der Bevölkerung gerückt und es lag nahe, sich auch einmal mit der Geschichte des ganzen Geläuts zu befassen. Einiges aus der Vergangenheit war zwar bekannt, aber in Vergessenheit geraten. Doch auch überraschende Neuigkeiten traten zu Tage. Die Inschriften, so weit vorhanden, erzählen historische Begebenheiten.

Einige der alten Glocken waren verschollen, sie geisterten aber immer noch durch die Fachliteratur, man wußte nicht, wo sie geblieben waren. Im Zuge der Nachforschungen über unsere Glocken ist es gelungen, das Rätsel zu lösen. Es war leider kein erfreuliches Ergebnis. Aber lesen Sie selbst.

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Zwei vermisste Glocken

Das Geläut der Rössinger Kirchenglocken bestand bis zum Jahre 1890 aus zwei Glocken, von denen eine aus dem Jahre 1429 stammte. Die zweite stammte aus dem Jahr 1625 und war von Friedrich von Rössing gestiftet. Die jüngere Glocke bekam im Jahre 1890 bei einem Sonnabendabend – Läuten einen Sprung und war nicht zu reparieren. Da auch die andere, ältere Glocke nicht einwandfrei war und die Aufhängung und Lagerung beider Glocken schadhaft, zog man den Glockengießer Radler aus Hildesheim zu Rate. Dieser riet dazu, die beiden Glocken einzuschmelzen und daraus drei neue Glocken zu gießen, die auf einander abgestimmt und ein harmonisches Geläut ergeben würden.(1)

Der Kirchenvorstand entschloß sich zu diesem Schritt. Die beiden Glocken wurden1891nach Hildesheim transportiert und eingeschmolzen. Sicher haben finanzielle Überlegungen dazu geführt, denn der Materialwert der beiden eingeschmolzenen Glocken deckte den größten Teil der für das neue dreistimmige Geläut benötigten Bronze. (2)

Aber das war ein verhängnisvoller Fehler, denn die Glocke aus dem Jahr 1429 war eine unersetzliche Kostbarkeit, deren Wert weniger auf dem materiellen als auf ihrem historischen Wert beruhte.

Diese Glocke wurde beschrieben in dem Buch von Mithoff(1871): Kunstdenkmale des Fürstenthums Calenberg, Seite 160. Obwohl sie schon 1891 eingeschmolzen war, geisterte sie immer noch durch die Fachliteratur der Glockensachverständigen, und man wußte nichts über ihren Verbleib.

Als Glockenzier trug sie vier kleinere Figuren, darunter eine Pieta und zwei mit Gießerzeichen oder Hausmarken ausgefüllte Wappenschilde.

Eine umlaufende Inschrift trug die Jahreszahl 1429 in lateinischen Ziffern, nämlich

m . cccc . xxix

und dazu in gotischen Minuskeln folgende Inschrift::

im 1429 jar . in . den . achte . daghen . petri . et . pauli . dysser . kerken . patronen

Diese Inschrift besagt, dass die Glocke gegossen wurde in den acht Tagen (in der Octav), vor oder nach dem 29. Juni 1429, dem Fest der Kirchenheiligen St. Peter und Paul, den Patronen dieser Kirche. Das Gußdatum orientiert sich am Patrozinium unserer Kirche, dem 29. Juni des Jahres 1429, unserem Kirchweihtag.

Es ist ein großer Verlust für unsere Gemeinde, dass diese Glocke 1891 zerstört wurde, nachdem sie über 450 Jahre die Gläubigen begleitet hat. Es liegt die Vermutung nahe, dass zu diesem Zeitpunkt, als die Glocke gegossen wurde, unsere Kirche an diesem 29. Juni des Jahres 1429 den Kirchenheiligen Peter und Paul geweiht wurde und ihren Namen erhalten hat. Welch ein denkwürdiges Datum.

Auch von der zweiten Glocke, gegossen 1625, die in Hannover von dem Glockengießer Joachim Schrader stammte, wußte man nicht, wo sie geblieben war.

Frau Dr. Christine Wulff, die Vorsitzende der Inschriftenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, erkundigte sich anlässlich einer Heimatpflegertagung in Alfeld im November des Jahres 2012 nach dem Verbleib der mittelalterlichen Glocke von 1429 in Rössing. Darauf konnte ich ihr keine Antwort geben. Aber kurz darauf fand ich im Pfarrrarchiv schriftliche Unterlagen über das Ende der beiden vermissten Glocken und schickte ihr Kopien der entsprechenden Schriftstücke aus dem Pfarrarchiv (4). Sie hatte nun Gewissheit über deren Schicksal und konnte dies Kapitel abschliessen. Sie sandte mir die Beschreibung der Glocke mit der Inschrift.(3) Das Ende dieser beiden alten Glocken ist nun geklärt, sie wurden 1891 eingeschmolzen, es gibt sie nicht mehr.

Das dreistimmige Geläut von 1891

Am 22. Juli 1891 trafen drei neue Glocken unterschiedlicher Größe in Rössing ein. Sie wurden in einem großen, neuen eisernen Glockenstuhl aufgehängt und am 28. Juli feierlich eingeweiht. Das Geläut bestand aus einer Legierung von 25 % Kupfer und 25 % Zinn und hatte einen wunderschönen, harmonischen Klang.

Aber schon 25 Jahre später, im ersten Weltkrieg 1914-18, war das Geläut vom Einschmelzen für Kriegszwecke bedroht, denn Bronze war eine kriegswichtige Metalllegierung. Doch wegen seines besonderen melodischen Wohlklanges wurde es auf Intervention des Superintendenten von der Beschlagnahme verschont.(4)

Die Aufforderung zur Ablieferung der Glocken im ersten Weltkrieg erfolgte auf eine bemerkenswert brutale Art und Weise. Man sollte die Glocken schon im Turm zerschlagen, weil sie sich besser abtransportieren ließen, der Transport sei auf diese Weise billiger und sie würden ja sowie zerstört, aber es sei darauf zu achten, dass alle Bruchstücke vollständig abzuliefern seien. Wenn man das nicht wolle, könnte man sie von oben auf Reisighaufen hinunter werfen, dann blieben sie vielleicht heil. (4)

Der Zweite Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg wurden unsere Kirchenglocken am 4. April 1940 erfasst und registriert. In dem entsprechenden Schriftstück wurde extra darauf hingewiesen, daß das Werfen vom Turm auf jeden Fall zu vermeiden sei, damit die Gefühle der Menschen nicht verletzt würden. Außerdem dürfte jede Gemeinde eine Glocke behalten, allerdings nur die kleinste. Dieser Vorgang zeigt einmal wieder überraschend deutlich, wie geschickt und wenn nötig auch subtil, Hitler die Menschen zu manipulieren verstand.(4)

In Hildesheim wurden die Glocken aus dem Dom, der Andreas-, der Jacobi-, der Bernward-, der Elisabeth- und der Godehardikirche bis auf jeweils die kleinste, abgenommen und für Kriegsbedarf beschlagnahmt.(5)

Diesmal nützte den Rössingern ein Gesuch um Verschonung von der Beschlagnahme nichts. Auch sie mußten ihre beiden größten Glocken abliefern. Als sie Im Februar 1942 abmontiert waren, stellten sich die Schulkinder zu einem Erinnerungsfoto auf, wie in unserm Bildband von 1987: Rössing, unser Dorf im Wandel auf Seite 68 zu sehen ist.(6)

Der damalige Pastor Hahne hat vor der Ablieferung 1942 die Schmuckelemente und Inschriften der Glocken genau beschrieben und wann sie jeweils geläutet wurden.(4)

Die Radler-Glocke von 1891

Die kleinste der drei Radler-Glocken blieb uns erhalten. Diese Tatsache war aber im Laufe der Jahrzehnte in Vergessenheit geraten. Als Herr Friedrich Kämpfer, Koordinator für das Glockenprojekt, 2008 mit seiner Aktion begann, denn eine kleinere, sehr alte Glocke sollte restauriert werden, stellte er schon bei der ersten Besichtigung der Glocken im Turm fest, daß eine, heute unsere größte Glocke, auf dem äußeren Kranz die Inschrift: FREIHERR VON RÖSSING trug. Dieser war Kirchenpatron gewesen und hatte 1891 zur Schaffung des Dreiergeläuts 500 Mark gestiftet.(2)

Die vollständige Inschrift im oberen Textfeld lautet:

GOTTES WORT UND LUTHER LEHR

VERGEHEN NUN UND NIMMERMEHR

Auf dem unteren Feld, dem Schlagkranz steht:

ALEXANDER FREIHERR VON ROESSING; KIRCHPATRON

GEGOSSEN VON J:J:RADLER U: SOEHNE IN HILDESHEIM 1891

Auf dem langen Feld, über dem Namen des Patrons, ist eine siebenzackige Krone zu sehen und darunter das Wappen der Herren von Rössing mit dem gekrönten, aufrecht schreitenden, doppelschwänzigen Löwen, der sichere Beweis dafür, dass dies wirklich die alte Glocke von 1891 ist. Sie ist heute mit 350 kg unsere größte Glocke und schlägt u.a. den Stundenschlag.

Die zweite Radler – Glocke

Nach dem Krieg 1945 hatten wir nur noch eine Glocke, die kleinste des Dreiergeläuts. 1968 gelang es Pastor Ujma, eine weitere Radler-Glocke aus alten Beständen zu erwerben. Sie stammt aus Eddigehausen, Kirchenkreis Reyershausen bei Göttingen. Die Radler-Glocken haben alle einen ähnlichen, vollen Klang und klingen harmonischer zusammen als Glocken unterschiedlicher Herkunft, weil sie die gleiche Zusammensetzung haben. So war es ein Glückszufall, daß unsere Gemeinde für 1.800 DM eine passende Glocke kaufen konnte. Sie stammt nicht nur aus derselben Glockengießerei wie die vorhandene von 1891, sondern auch etwa aus derselben Zeit, aus dem Jahr 1898, und trägt ebenfalls Inschriften.

Im oberen Textfeld steht

DIENET DEM HERRN MIT FREUDEN;

KOMMT VOR SEIN ANGESICHT MIT FROHLOCKEN

Auf dem breiten unteren Glockenrand, dem Tragring steht:

GEGOSSEN VON J:J:RADLER U: SOEHNE IN HILDESHEIM 1898

Inschrift auf dem Schlagring:

PASTOR LIC. THEOL: FR:W: CUNO.

LEHRER: O. STEINEBACH

GEM.-VORST: W. VOLLBRECHT.

KIRCHENÄLTESTE W. AUE, A. KURRE, L. SCHNELLE

Die Aufzählung der Honoratioren besagt nicht, dass diese die Glocke gestiftet haben, sondern ihre Namen stehen stellvertretend für die ganze Gemeinde, die das Geld dafür aufgebracht hat. (7)

Der Pastor Fr. W. Cuno war von 1887 bis 1904 Pfarrrer in Eddigehausen bei Göttingen, das zum Kirchenkreis Reyershausen gehört, und während seiner Amtszeit wurde die Glocke angeschafft. Die dortige Kirchengemeinde wollte sich aber 1968 ein zweistimmiges Geläut zulegen und so kam Rössing zu dem günstigen Kauf. Dazu kamen natürlich noch weitere Kosten für Transport und Aufhängung, Armatur u.s.w. Damals war das Glockenläuten aber schon auf elektrische Läutemaschinen umgestellt.

Diese Glocke läutet als Totenglocke. Mit 250 kg ist sie die leichteste der drei Glocken, die wir heute besitzen. Die 2012 restaurierte mittelalterliche Glocke hat 300 kg, die Glocke aus dem Dreiergeläut von 1891 wiegt 350 kg.

Die „mittelalterliche Glocke“

Schon bevor Pastor Uijma 1968 die Radler-Glocke aus Eddigehausen 1968 kaufen konnte, war es s Herrn Pastor Bernd Moderegger 1950 gelungen, eine zweite Glocke zu unserer einzig verbliebenen Radler-Glocke von 1891 dazu zu erwerben. Dabei handelte es um eine Glocke, die nach Meinung der Glockensachverständigen um 1350 gegossen worden ist. Sie war stark beschädigt, aber sie ist definitiv eine mittelalterliche Glocke und hat einen hohen Denkmalswert, deswegen wurde sie jetzt so aufwendig restauriert.

Sie stammte aus alten Beständen, aber man wusste nicht, wo sie früher gehangen hatte. Doch das konnte jetzt aufgeklärt werden, mit einem überraschenden Ergebnis. Diese Glocke stammte nämlich aus Rössing, denn sie ist unsere alte Uhrschlag-Glocke.

Sie trägt keine Inschrift, die uns Auskunft gibt, wo sie gegossen wurde. Auf der Mitte des langen Feldes ist nur ein grafisches Zeichen zu erkennen, ähnlich wie die Steinmetzzeichen der mittelalterlichen Bauhütten. Sicherlich war es früher ein Hinweis auf den Glockengießer, leider ist uns die Deutung dieser Zeichen nicht überliefert. Sie ist mit 300 kg leichter als die Rös- singer Radler-Glocke von 1891 mit 350 kg. Deshalb war sie für die Menschen hier immer die „Kleine Glocke“ und sie lag als mittelalterliche Glocke allen besonders am Herzen.

Wenn sie um 1350 gegossen wurde, dann ist sie über 650 Jahre alt und mit großer Wahrscheinlichkeit ist diese Glocke ebenso lange hier in Rössing und mit unserer Kirche verbunden, denn Ihre Spur ist lange zurück zu verfolgen.

Fest gemauert in der Erden

Früher war die Glockengießerei ein Wandergewerbe. Die Glocken wurden in der Regel an Ort und Stelle gegossen, weil man gar nicht die Möglichkeit hatte, eine schwere Glocke über weite Strecken zu transportieren.

Schiller beschreibt so einen Glockenguss sehr anschaulich in seinem „Lied von der Glocke“: Festgemauert in der Erden, steht die Form aus Lehm gebrannt

Und so drängt sich der Gedanke auf, dass diese Glocke von Anbeginn zu unserer Kirche gehört hat.

Im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, zwischen 1290 und 1300 ist unsere Kirche nach Überlieferung gestiftet worden. War es eine hölzerne Kapelle? Gehörte schon ein Turm dazu? Wir wissen es nicht. Der Kirchturm, mit Sicherheit niedriger als heute, könnte um 1350 entstanden sein und wahrscheinlich ist diese alte Glocke schon ebenso lange bei uns und hier an Ort und Stelle gegossen.

In den Pfarrakten(4), so weit ich sie durchstudieren konnte, wird diese Glocke immer nur ganz kurz erwähnt. Sie war eine Uhrschlag-Glocke und zeigte die Zeit an, die einzige Zeitangabe, die die Leute früher auf dem Lande hatten. Sie ist eine Schlag – Glocke, das heißt, sie war fest montiert, sie wurde nicht mit einem Klöppel geläutet, sondern von außen angeschlagen.

Ein unscheinbares Dasein

In einem Auszug aus dem leider undatierten von Rössingschen Hauptbuche wird über die Kirche und ihre Glocken berichtet. Der Eintrag muß nach 1755 und vor 1830 entstanden sein. Die beiden Vorgängerglocken des Dreifach-Geläuts von 1891 werden ausführlich beschrieben. Sie wogen beim Einschmelzen 1891 zusammen 36 Zentner = 1.800 kg. (4) und waren durch ihre Jahreszahlen 1429 und 1625 genau zu identifizieren.

Von einer dritten Glocke ist an dieser Stelle nicht die Rede.

Aber eine dritte Glocke, eine kleinere. leichtere, nämlich eine Uhr-Schlag-Glocke muss vorhanden gewesen sein, denn an anderer Stelle heißt es von ihr:

Die kleinste Glocke ist geborsten und stehet noch im Thurm; die Schlage-Uhr und Glocke, woher selbige ihren Uhrsprung hat, ist ungewiß.

Im Pfarrarchiv erfahren wir immer nur bruchstückhafte Einzelheiten über diese UhrschlagGlocke, aber viele Hinweise, dass sie existierte. Anno 17 ? (die beiden letzten Ziffern fehlen bei der Jahreszahl), wurde diese Schlage-Uhr auf Kosten der Kirche repariert. (4)

Wir wissen nicht, wo sie hing, wo war ihre Uhrkammer? Sie war mit 300 kg kleiner und leichter als die beiden andern, wie wir heute wissen. 1786 ging es um die Kosten für Glocken- und Uhrschmier, die von der Kirche getragen wurden. Die „Turm – Uhr“, also ein Uhrwerk, war im Jahre 1853 von der Kirchengemeinde angeschafft worden. Im Jahr 1860 mußte eine umfangreiche Turmreparatur durchgeführt werden und der Turm wurde nicht mehr mit Ziegeln sondern mit Goslarschem Schiefer gedeckt, doch die Glocken wurden mit keinem Wort erwähnt. 1875 mussten die Schalllöcher repariert werden, sie sollten mit einem Bleidach verbessert werden, und das obere Fach der Fenster der Uhrkammer hatte eine Reparatur nötig, wieder ein Hinweis auf die Uhrschlag-Glocke.

Als 1891 die neuen Glocken montiert wurden, will man auch ein Zifferblatt am Turm anbringen. Aber für die vorhandene alte Schlage-Uhr müßte das Zeigerwerk umgearbeitet werden, so läßt man den Plan aus Kostengründen fallen. Immer wieder finden sich Hinweise auf die kleine alte Uhrschlag–Glocke.(4)

Unsere Glocke hat Glück

Als im Ersten Weltkrieg die Glocken zuerst gemeldet und dann abgeliefert werden mussten, wurde im Juni 1917 moniert, dass die Kirchengemeinden nicht alle Glocken, vor allem die Uhrschlag-Glocken nicht gemeldet und abgeliefert, sondern als Andenken zurückbehaltenhätten. Aktenvermerke darüber wurden von den Behörden vermisst und waren nicht aufzufinden, und irgendwie ist unsere kleine alte Glocke auf diese Weise auch der Beschlagnahme 1917 entgangen, wie aus den Akten hervorgeht.

Im Zweiten Weltkrieg wiederholte sich dies Spiel. Zuerst wurden nur die drei großen Glocken gemeldet und zwei davon beschlagnahmt. Eine Nachmeldung der Uhrschlagglocke wurde angefordert und in sehr ungenauer Form nachgeholt. Ihr Gewicht wurde nur mit 65 kg angegeben. Das war viel zu wenig, denn sie wog 300 kg. Man hoffte wohl, auf Grund des geringen Gewichtes der Beschlagnahme zu entgehen. Aber diesmal kam unsere kleine alte Glocke nicht davon. Sie erhielt die Kennziffer

5/20/76,

wurde beschlagnahmt und eingezogen. Im Harburger Hüttenwerk erlebte sie das Kriegsende 1945. Doch sie hatte Glück, der Krieg war zu Ende, bevor sie eingeschmolzen wurde.

Eine „kleine Glocke“ kehrt heim

Schon 1946 nahm der „Auschuss für die Rückführung der deutschen Kirchenglocken“ seine Arbeit auf und führte die Identifizierung der Glocken, die dem Einschmelzen entgangen waren und ihre Rückführung in die alten Kirchengemeinden durch. An Hand der Kennziffer, die sie bei der Ablieferung erhalten hatte, wurde unsere Glocke in Harburg, auf dem „Glockenfriedhof“ identifiziert, und so kehrte unsere kleine mittelalterliche Glocke 1948 nach Rössing zurück, wo sie schon viele hundert Jahre ihren Dienst als Uhr-schlag – Glocke versehen hatte.

Die Restaurierung

Zuerst wurde die heimgekehrte Glocke mit einer Aufhängevorrichtung versehen und von 1950 bis 2008 hing sie wieder bei uns im Turm, aber 2008 musste sie aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden.

Noch in demselben Jahr gingen erste Spenden für ihre Restaurierung ein und Herr Kämpfer ging ans Werk.

Am 20.Okt. 2011 wurden in einer Kirchenvorstandssitzung der Planungsentwurf und die Finanzierung verabschiedet.

Der Ausbau der Glocke erfolgte durch das Technische Hilfswerk am 26. November 2011.

Am 29. November 2011 wurde sie im Gottesdienst verabschiedet, und dann ging unsere Glocke auf Reisen.

Zuerst nach Nördlingen. Die Kronenbügel für die Aufhängung waren abgebrochen und mittels der Fragmente wurde von der Firma Lachenmeyer in Nördlingen eine neue Krone gegossen und in die alte Glocke eingeschweißt.

Nach Fertigstellung der Glocke in Nördlingen am 11. April, erfolgte ihr Transport nach Herford am 16. April 2012. In den Herforder Elektro-Motorenwerken wurde sie vermessen und gewogen und das Holzjoch für die Glocken und die Aufhängung, sowie die Armatur hergestellt. Sie hatte einen neuen Klöppel bekommen und ging dann auf die Heimreise. Insgesamt hatte sie 1.400 km zurückgelegt, als die am 20. April 2012 wieder in Rössing eintraf.

Am 28. Juli wurde die Glocke auf den Turm gehievt und der Einbau und das Einläuten erfolgten am 30. Juli 2012. Am Erntedanktag im Oktober wurde sie offiziell der Gemeinde wieder übergeben. (8)

Mit dem zweiten mittelalterlichen, restaurierten Glockenschatz werden die Rössinger in Zukunft sicher behutsamer umgehen und ihn nicht einschmelzen wie es im Jahr 1891 mit der wertvollen historischen Glocke geschehen ist, die 1429 gegossen wurde und die Namen unserer Kirchenheiligen St. Peter und Paul trug.

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Quellen

1 Unbekanntes entdecken, Kirchen in der Gemeinde Schellerten, 2010, ISBN 978-3-938385-38-8 von Heike Klapprott, Annegret von Loeben, Gerda Mayer, Hans-Georg Schrader, S. 56

2 Aus der Geschichte von Rössing, von Malermeister Hermann Kasten 1983, S. 68

3 Mithoff(1871): Kunstdenkmale im Fürstenthum Calenberg S. 160, Nachricht v. Dr. Christine Wulff,

Vorsitzende der Inschriftenkommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, 4. Dez. 2012

4 Pfarrarchiv Rössing, Sign. Rep 18 A 500 – 512 und Rep 19 A 5130151304

5 Der Raum Hildesheim im Luftkrieg 1939-1945, Zielpunkt 52092 N / 9571 O von Hermann Meyer-Hartmann, Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim, Bd. 14 S.27

6 Rössing – unser Dorf im Wandel, Bildband, S. 68, 1987 ISBN 3-89264-103-X

Hrsg. Verein Dorfpflege Rössing

7 Philipp Meyer, Die Pastoren der Landeskirche Hannover seit der Reformation

Pfarrarchiv Rösssing , Sign. Rep 19. A 513 o1 – 513o4

8 Arbeitsunterlagen des Projektes von Friedrich Kämpfer, Rössing, KV-Miglied

Nachtrag

Quelle: Pfarrarchiv Rössing, Sign Rep 19 A 51301 – 51304

Ergänzende Nachrichten über Glocken aus den verlorenen Ostgebieten

Am 27. Dezember 1950 stellte der damalige Rössinger Pastor Moderegger an das Landeskirchenamt in Hannover einen Antrag auf leihweise Überlassung einer Bronzeglocke. Solche lagerten noch auf dem „Glockenfriedhof“ in Harburg und stammten aus den verlorenen Ostgebieten jenseits der Oder-Neisse-Linie. Er selber hatte dort seine Heimat verloren und es wäre eine große Freude für die zahlreichen Ostvertriebenen, die die Hälfte der Bevölkerung Rössings und bei weitem den größten Teil der Kirchenbesucher stellten, wenn sie von einer Glocke aus ihrer Heimat ins Gotteshaus gerufen würden. Dies Ersuchen wurde aber abgelehnt.

Kirchenglocken aus Wolhynien

1942 wird darauf hingewiesen, dass die Glocken der Wolhyniendeutschen, die 1939 als Folge des Nichtangriffspaktes von Hitler mit der Sowjetunion aus Russland nach Deutschland umgesiedelt wurden, ihre mitgebrachten Glocken behalten dürften, dass sie nicht für Kriegszwecke beschlagnahmt werden sollten, ein eindrucksvolles Beispiel für den hohen Sinngehalt von Kirchenglocken, sogar im Dritten Reich.

Abschiedsfeier für die Glocken der Kirchengemeinde Rössing am 8. März 1942 .

Der damalige Pastor Hahne hat vor der Ablieferung die Schmuckelemente und Inschriften der Glocken beschrieben und uns genau überliefert, wann sie jeweils geläutet wurden.

Die große Glocke:

Oberer Schmuckrand: Eichenlaub

Auf dem langen Felde: Der segnende Christus mit ausgebreiteten Armen.

Auf der Gegenseite: Der aufrecht stehende Luther mit der Bibel in der Hand.

Inschrift: EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE – FRIEDE SEI MIT EUCH

Am unteren Rande:GEGOSSEN VON J.J.RADLER UND SÖHNE IN HILDESHEIM 1891

PASTOR WOLFF, K..KOENNEKE, H.MARTENS,H.BAUMGARTEN. K.TIEMANN U.. G.HOFFMANN

Gewicht: 1079,5 kg = 21 Zntr, 59 Pfd. Durchmesser unterer Glockenrand 128 cm, Ton D

Die mittlere Glocke

Oberer Schmuckrand: Weinlaubranken

Auf dem langen Felde: Ein Kreuz mit der Inschrift I.N.R.I. Auf der Gegenseite: Ein Abendmahlskelch.

Inschrift: KOMMET, DENN IST ALLES BEREIT! WACHET UND BETET!

Am unteren Rande: GEGOSSEN VON J.J.RADLER und SÖHNE, HILDESHEIM 1891

ORTSVORSTEHER H.PLÖTZE, LEHRER K.TÖNNIES, H.ROHNE, K.ROKAHR

Gewicht: 648 kg = 12 Zntr. 96 Pfd. Durchmesser unterer Glockenrand: 127 cm, Ton F

Die kleine Glocke

Oberer Schmuckrand:Blumenranken

Auf dem langen Feld: Das Wappen der Herren von Rössing

Der springende Löwe, darüber die siebenzackige Krone

Inschrift: GOTTES WORT UND LUTHERS LEHR

VERGEHEN NUN UND NIMMERMEHR

Am unteren Rande: GEGOSSEN VON J.J.RADLER UND SÖHNE HILDESHEIM 1891

ALEXANDER FRH. VON RÖSSING, KICHENPATRON

Gewicht: 317 kg = 6 Zntr., 34 Pfd, Durchmesser unterer Glockenrand 86 cm, Ton A

Verwendung der Glocken:

Alle drei Glocken zusammen:

Beim Einläuten der hohen kirchlichen Festtage und an diesen selbst.

An hohen politischen und vaterländischen Festtagen und Siegesfeiern.

Die große Glocke allein:

Bei dem Brautschauer von 1-2 Uhr vor der Trauung,

beim Betglockenschlag

als Sturm- und Feuerglocke, schnell und pausenlos angeschlagen

Die mittlere Glocke allein

Als Abendmahlsglocke freitags zu den Abendmahlsfeiern

Die mittlere und die kleine Glocke zusammen:

Am Sonnabendabend zur Anmeldung des Sonntags,

Sonntags früh zum Einläuten des Sonntags, in Friedenszeiten im Sommer um

6 Uhr, im Winter um 8 Uhr,

zum Ausläuten und zu den Beerdigungen von Kindern

Die kleine Glocke allein, als Feuerglocke geläutet