Bierbraurecht in Rössing

Seit „ondencklichen“ Zeiten gilt herrschaftliches Bierbrau-Recht

Springer Jahrbuch

Helga Fredebold

Schon im 12. Jahrhundert fand das in Rössing hergestellte Bier in einer Hebeliste des Klosters Helmarshausen an der Diemel eine frühe schriftliche Erwähnung. Das Kloster Helmarshausen besaß in Rössing eine bedeutende Fronhofswirtschaft und wenn der Abt dreimal im Jahr nach Rössing kam, um die Abgaben einzusammeln, mußte er hier drei Tage mit 12 Knechten und ihren Pferden beherbergt und mit Met und Bier versorgt werden.

Bier spielte in der Ernährung, bevor man Tee und Kaffee oder Kaffeersatz kannte, eine viel wichtigere Rolle als heute. Und zwar weniger als Genußmittel, sondern als täglicher Durstlöscher neben Milch und Buttermilch, denn das Brunnenwasser war meist ungenießbar.

Durch Zufall würziges Bier

Die Qualität dieses Bieres war aber kaum mit der heutigen zu vergleichen. Im Museumsdorf Cloppenburg wird die Herstellung eines solchen einfachen Dünnbieres beschrieben:

In ein halb Meter hohes, nach oben verjüngtes Faß mit Spundloch über dem Boden werden 10 Pfund gesäuertes Schwarzbrot zu einem Viertel mit warmem und zu drei Viertel mit kaltem Wasser übergossen. Nachdem das Fass luftdicht verschlossen und der Aufguss zwei Tage gegärt hat, kann gezapft werden.

So oder ähnlich durfte auch hier die hochmittelalterliche Braukunst ausgesehen haben.

1516 erließ der Bayerische Landtag sein berühmtes Reinheitsgebot, dass außer Wasser, Hopfen und Gerste keine weiteren Zutaten zur Bierherstellung verwendet werden dürften.

Im Calenbergischen wurde der Ruf des Bieres erst besser, als Cord Broyhan 1526 in Hannover zum ersten Mal durch Zufall ein würziges Bier von guter Qualität herstellte, als er versuchte, ein Hamburgisches Bier nachzubrauen. Er war Brauknecht in Hamburg gewesen und sein Broyhan-Teiken (Zeichen) kennt jeder Hannoveraner.

Auch Ihnen ist der Hahn nicht neu,

der Broyhan ist’s von Gildebräu.

1546 gründeten hannoversche Bürger die Gildebrauerei, in der bis zum Jahre 2002 der Broyhan gebraut wurde. Dann wurde das Unternehmen an den internationale Konzern InBev verkauft, und seitdem schwebt über der Zukunft dieses althannoverschen Traditionsbieres ein großes Fragezeichen.

Strenges Bier- und Schankrecht

Schon früh hatten die Landesfürsten die Brauhoheit an sich gezogen. Brau- und Schankrecht waren besondere Privilegien und wurden von den Welfenfürsten streng geregelt.

In einem fürstlichen Dekret von 1643, also unmittelbar, nachdem für die welfischen Lande der 30jährige Krieg durch den Separatfrieden von Goslar zu Ende gegangen war, wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass „eigenmächtiges Bier- und Broyhanbrauen zu feilem Kauf auf den Doerffern“ verboten ist.

Es wird verwiesen auf den Gandersheimer Landtsagabschied von 1601, weil bei diesen „schnoeden und zerruetteten Kriegslaeuften, da fast alle gute Polizey und Ordnung aus der Acht gesetzet worden, das Winkelbrauen zu feilem Kauff haeufig eingerissen.“

Porst, ein schädliches Kraut

1710 wurde den Pächtern des Brauwesens bei strenger Strafe verboten, beim Anbrauen des Bieres „ein gewisses Kraut namens Post (auch Porst oder Rausch genannt) zuzusetzen, weil es dem Getränk eine ungemeine und schadhafte Stärke giebet.“

Wer als Brauknecht (ohne Wissen des Brauherren) diesem Verbote zuwider handelte, sollte mit ewiger Landesverweisung bestraft werden.

Wir, Georg Ludewig von Gottes Gnaden Hertzog zu Braunschweig und Lüneburg / des Heiligen Römischen Reichs Ertz=Schatzmeister und Churfürst

fügen hiermit zu wissen; Demnach Uns mißfälligst vorkommen, was gestalt hin und wieder in Unseren Landen bey Anbrauung des Biers ein gewisses Kraut / Post benahmt, von betrügerischen eigennützigen Leuten häuffig gebraucht werde, welches von der Eigenschaft seyn soll, daß es dem Geträncke eine ungemeine und schadhaffte Stärke gebe und auch diejenige, so nur in geringer Quantität davon genossen, schleunig berausche; Wir aber solchem Unwesen also länger nachzusehen und desto weniger gemeinet, als dadurch dem menschlichen Cörper leichte Ungelegenheit zugezogen, auch sonst allerhand Unfall und Böses verursachet werden kann. Als ordnen und wollen wir hiemit und in Krafft dieses, daß

I kein Brauer sich unternehmen solle, solches Kraut, oder wodurch sonst dem Bier eine ungewöhnliche Stärcke gegeben wird, unter einigerley Vorwandt zu kauffen,oder in seinem Hause finden zu lassen, bei fünffzig Thaler Straffe. Würde sich aber

II jemand gelüsten lassen, solches ins Bier zu geben , und er dessen über kurtz oder lang überführet werden, soll derselbe ohne eintziges Nachsehen, und etwan anzunehmende Entschuldigung, auf Zeit Lebens der Brau=Gerechtigkeit verlustig erkläret, auch überdem, wann dadurch jemand an seiner Gesundheit gelitten, ohnausbleiblich am Leibe gestraffet, und zu Ersetzung alles sonst dadurch erwachsenen Schadens angehalten werden. Sollte aber

III jemand sein Brauwesen oder Brau=Gerechtigkeit verpachtet haben, und es sich finden solte, daß es mit seinem Wissen und Genehmhaltung nicht geschehen, so hat obermedlte Straffe an ihn nicht statt, der Pächter aber soll nebst Privirung der habenden Pacht, und Ersetzung des etwan entstamdenen Schadens, mit einer ansehnlichen Geldbusse, auch wohl dem Befinden nach Leibes=Straffe beleget, und auf Zeit=Lebens zu keinem Brauwerck wieder gelassen werden. Würde auch

IV ein Braumeister/Brauknecht, oder ander desBrauherrn domestique sich unterstehen, dergleichen ohne Wissen und Verlangen des Brauherrn vorzunehmen, soll derselbe mit ewiger Landes-Verweisung, diejenigen aber, welche sich durch Anreitzungen der Brauherren dazu verleiten lassen, mit zehn=tägiger Gefängnüße bestrafft werden. Und damit dieses desto besser zu jedermanns Wissenschaft kommen möge, soll es nicht allein gewöhnlicher Orten öffentlich angeschlagen und von den Cantzeln verlesen, sondern denen Brauern, Braumeistern, Brauknechten, auch andern, welche zum Brauen berechtigt, davon ein Exemplar zugestellt und bei allen und jeden Zusammenkünfften der Brauer deutlich und vernehmlich hergelesen werden. Befehlen demnach allen und jeden, welche in Unserm Nahmen zu gebieten und verbieten haben, daß sie sich darnach gebührend achten, deßfalls fleißige Auffsicht führen, und öffters visitiren lassen, auch gegen die Contravenienten ihres Ambts gebührend pflegen sollen. Uhrkundlich haben Wir dieses Eigenhändig unterschrieben und mit Unserm Churfürstl. Geheimbten Cantzley=Secret bedrucken lassen. ^

Hannover, den 20. Augusti 1710,

LS Georg Ludewig/ Churfürst

1723 wurde die Verordnung noch verschärft. Übeltäter sollen angezeigt werden und der Denunziant 20 Taler Belohnung erhalten. Sein Name soll verschwiegen, und der Täter mit Festungshaft betraft werden.

Das Erntebier

Zwar durfte auf den Kot- und Meierhöfen, soweit sie über 12 Morgen bewirtschafteten, zwischen dem 24. Juli und dem 25. August das Erntebier für die Leute gebraut werden, aber die Menge war genau vorgeschrieben. Nach einem fürstlichen Erlaß von 1713 durfte nicht mehr Bier als von einem halben Himpten Malz gebraut werden, die Menge pro Morgen war auf anderthalb Stübchen (1 Stübchen 3,89 Liter) begrenzt. Alle vier Monate sollten die Licentinspektoren auf den Höfen kontrollieren, ob nicht zu viel Bier gebraut wurde.

Alle, die berechtigt waren, ihr „Hausgetränk“ licentfrei zu brauen, wie Prediger, Schulbediente, Voigte oder Förster, sollten sich bei Strafe unterstehen, etwas davon zu verkaufen oder anstatt Bezahlung für Handwerkerrechnungen oder Spinn- und Arbeitslohn abzugeben. Das „versellen“ (verkaufen) war allein den „Krügern“ vorbehalten.

Das Nebeneinander zweier Herrschaftsbereiche im Dorfe prägte nicht nur seine Geschichte, sondern war auch die Ursache für die Existenz zweier Krüge in Rössing.

Da war auf der einen Seite das Gut der Herren von Rössing, die gleichzeitig Grundherr, Leibherr und Gerichtsherr ihrer Gutsuntertanen in einer Person waren, eine Konstellation, die heute von jedem Gericht als Befangenheit abgelehnt würde. Sie waren seit „ohndencklichen“ Zeiten mit dem herrschaftlichen Privileg des Braurechts, des „Jus braxandi“ ausgestattet, was ihnen 1676 noch einmal ausdrücklich bestätigt wurde.

Der licentfreie „Adelige Krug“, wo das Bier gebraut wurde, befand sich nahe dem Schloß, an der Ecke „Unter den Eichen“, heute Kirchstraße 21 (früher Hausnr.97). Ein Gewölbekeller aus Bruchsteinen mit in die Wand eingelassener Lichtnische und einem schmalen Außenschacht liegt in der Mitte des Gebäudekomplexes und dürfte der älteste Bauteil des Kruges sein. Der gutseigene Hopfengarten am Jägerweg lieferte den notwendigen Hopfen und bis vor einigen Jahren soll man dort noch verwilderte Hopfenpflanzen gefunden haben. Als der „Adelige Krug“ 1981 seine Pforten für immer schloß, hieß er allerdings „Zum goldenen Löwen“ und war schon lange nicht mehr im Besitz der Herren von Rössing.

Blutige Schlägerei

Aber vorher war er Schauplatz mancher tragikomischen Geschichte. So ist es heute noch aktenkundig, dass 1648 des „Junkers Hofmeister, der in Junkers Kneipe gesessen und gesoffen hatte“ vom Calenberger Amtsvoigt „gefenglich“ weggeführt werden sollte, weil er dem Krüger von Jeinsen, der mit seinem Wagen und einem Pferd über des Junkers frisch gepflügtes Land gefahren war, um dem Calenbergischen Wegezoll zu entgehen, nach landesüblichem Brauch ein Pferd gepfändet hatte. Des Junkers Krüger mit dem bloßen Degen und sein Hofgesinde griffen ein und es gab eine blutige Schlägerei, die vor dem fürstlichen Hofgericht noch ein Nachspiel hatte, denn die Angelegenheiten der Adelligen Herren wurden vor dem Hofgericht verhandelt und nicht vor dem Amtsgericht wie bei dem Normalbürger.

Im Jahr 1767 vergab A.F. von Rössing „wegen des hiesigen geringen Brauwesens

seine Braurechte gegen Zahlung von zwei Louisdor (zehn Reichstalern) jährlich an die Calenbergische Amtsbrauerei. Der „Adelige freie Krug“ wurde an Erich Garben verpachtet, der jährlich zwei Reichstaler Erbenzins dafür zahlte.

In der napoleonischen Zeit wurde unter anderem auch die Patrimonialgerichtsbarkeit der Herren von Rössing aufgehoben. Aber bei der nachfolgenden Restitution wurde ihnen 1848 die niedere Polizeigewalt wieder übertragen. Wohl um Gewissenskonflikte zu vermeiden, holte man sich für dieses Amt einen Ortsfremden von weither aus dem Emsland. Zu seinen Aufgaben gehörte vor allem:

das Aufsichtführen im Kruge und im Holze, auf Sittlichkeit und gute Ordnung ein wachsames Auge richten und vor allem im Adeligen Wirtskruge nachsehen, dass kein schlechtes Gesindel aufgenommen und beherbergt werde. Verdächtige ohne Pass sind zu arretieren und keine verbotenen Spiele zu dulden. Nach 10 Uhr abends sind keine Gesellschaften im Kruge oder sonst polizeiwidrige Zusammenkünfte zu gestatten. Beim Krüger sind Masse und Gewicht der Krugnahrung zu kontrollieren und ob die diesbezüglichen Polizeigesetze befolgt werden.

Offenbar war abends um 22 Uhr bereits Polizeistunde.

Gesellschaftlicher Wandel und dörfliche Vergnügen

Zum Kruge gehörte eine kleine Landwirtschaft etwa in der Größe einer Köthnerstelle, (ca. 20 Morgen), dazu Stall und Scheune. Im nördlichen Teil wurde ein Saal angebaut, in dem man bei Renovierungsarbeiten die Jahreszahl 1854 entdeckte. Nun gab es auch Tanzvergnügen dort und hier fanden die Gemeinderatssitzungen statt, später im Wechsel mit dem andern Dorfkrug „Rodewald“.

Der Krug hieß nun Brandscher und dann Kreipescher Krug. Von 1880 bis 1971 befand sich das Gasthaus im Besitz der Familie Haller und ihrer Nachfahren, die dort außerdem einen Getreidehandel betrieben. Über dem Saal war der Kornboden, was man noch an der Aufzuggaube erkennen kann.

Nach der Heirat einer Haller-Tochter im Jahr 1913 betrieb das Ehepaar Haller-Caspaul die Gaststätte gemeinsam, und in den 1930er Jahren wurde sie verpachtet. Der Pächter Heise war Mitglied der SA und in der NS-Zeit wurde sie Stammlokal der SA. Darauf folgte der Pächter Willenbrink, und als 1951 die Familie Georg Hübner aus Löwenberg in Schlesien den Betrieb pachtete, gehörten auch Fremdenzimmer und eine Kegelbahn dazu. Das Gasthaus hieß nun „Zum goldenen Löwen“. Außer Kegeln, Tanz und sonstigen Vergnügen fand dort auch Turnunterricht für die Kinder statt.

1971 konnten Hübners den Betrieb kaufen, aber schon 10 Jahre später starb Georg Hübner und seine Witwe veräußerte das Grundstück mit den Gebäuden. Seit 1981 ist es nur noch Wohnhaus und im Besitz von Dr. Gerhart Unterberger.

Der zweite Dorfkrug

Da Rössing neben dem Adeligen Gut eine zweite Verwaltungseinheit hatte, nämlich die calenbergische Vogtei Rössing, war es folgerichtig, daß es auch einen zweiten Dorfkrug gab. Dieser mußte sein Bier von der herrschaftlichen Amtsbrauerei beziehen und war einer der 20 Zwangskrüge im Amt Calenberg.

Von 1768 bis 1802 hatte der Köthner Hans Heinrich Blume, Rössing Nr. 15, jetzt Lange Straße 7, die „Krugnahrung“ vom Amte Calenberg gepachtet, was alle vier Jahre meistbietend erfolgte. Als im Jahre 1802 der 24jährige Sohn Johannes Heinrich Julius Blume in Vertretung seines todkranken Vaters zur Versteigerung erschien, ließ er sich in seiner jugendlichen Unerfahrenheit auf 48 Reichsth. hochtreiben. Als nach einem halben Jahr der Vater starb, bat er in einem flehentlichen Brief den Amtmann um Reduzierung des Pachtgeldes auf 20 Rthl. jährlich, wie sie der Vater zuletzt bezahlt hatte.

Der Krug in Jeinsen bezahle nur 18 Rthl. und habe doch viel mehr Passage durch reisende Gäste, was er nicht zu erwarten habe. Sein Vater habe sein bescheidenes Vermögen auch nicht im Kruge, sondern als Alleininhaber des Garn- und Hokenhandels verdient und sei zudem durch einen Banquerotteur in Hildesheim darum betrogen worden.

Aber das Amt wollte die Pacht nicht senken, sondern ihn allenfalls nach einem Jahr aus dem Vertrag entlassen. Doch weil der junge Mann nicht wußte, wie er sonst seine unmündigen Geschwister versorgen sollte, und das Haus mit allem Inventar zur Wirtschaft eingerichtet war, führte er den Krug weiter, ging dabei in Konkurs und verkaufte Haus und Grundstück an Schlachter Schreyer in Jeinsen. 1806 ging dann beides in den Besitz des jüdischen Kaufmanns Nathan Schay-Neuberg aus Sarstedt über, der den Hokenhandel von Vater Blume weiter führte.

Wechselnde Pächter

Die Kruggerechtigkeit im Dorf wechselte nun ständig. Seit 1806 mußte der Köthner Conrad Köhler 60 Rthl. Pacht zahlen. Nach seinem Tode bewarb sich der Köthner Heinrich Blume (Haus Nr. 46) darum und 1816 war Conrad Brandes Krugpächter. Eingaben wegen zu hoher Pachtsummen schmetterte das Amt einfach ab und warf den Pächtern „schlechte Wirtschaft“ oder „Liebe zum Trunke“ vor. Dazu muß gesagt werden, dass die französische Besatzung hohe Kontributionen verlangte und das Dorf durch den großen Brand von 1808, der das halbe Dorf in Schutt und Asche legte, zusätzlich verarmt war. So lag das Krugwesen ziemlich darnieder.

Als um 1860 der Rodewald-Dettmersche Hof, die Doppelköthnerstelle 39/40 neu gebaut wurde, pachtete die Familie für die mehrjährige Bauzeit das gegenüberliegende

Haus Nr. 37, das die Kruggerechtigkeit innehatte. Beim Umzug in den Neubau wurde die Konzession mitgenommen und die Familie Rodewald betrieb neben ihrer Landwirtschaft über 100 Jahre eine renommierte Gastwirtschaft, die 1898 durch einen großen Festsaal erweitert wurde. Dort verkehrten hauptsächlich die Bauern und Handwerksmeister und viele große Hochzeiten fanden dort statt. Eine Kegelbahn war ein weiterer Anziehungspunkt.

Ab 1. Januar 1965 war die Gaststätte an Annie und Wilhelm Biermann verpachtet, bis sie 1979 geschlossen wurde. Damit ging wieder ein Stück Rössinger Tradition zu Ende.

Inzwischen hatte sich in der Langen Straße 22 noch eine Gaststätte etabliert, der eine Postagentur angegliedert war. Sie wurde von Familie Reitzig betrieben und war das Vereinslokal des 1897 gegründeten Sportvereins. Aber als Rodewald seinen Saal gebaut hatte, der auch als Turnhalle benutzt wurde, zogen die Sportler nach dorthin um.

Hier: Bild 2 Postkartenausschnitt Gasthaus Reitzig

Das Haus Reitzig wurde 1909 an Bäckermeister Hermann Dollenberg verkauft, der neben seiner Bäckerei Gaststätte und Post bis zum ersten Weltkrieg weiter betrieb. Damals hatte sie als Attraktion sogar ein Billardzimmer. 1914 verkaufte er die Konzession für (für 8.500 Mark) und das Inventar (für 2.250 Mark) an den Posthalter und Kohlenhändler Gustav Ehlers im Haus gegenüber, der beides weiterführte, als er aus dem Kriege heimkehrte, den er als Soldat der Kaiserlichen Schutztruppe in Deutsch-Südwest-Afrika (heute Namibia) erlebte.

Moderne Zeiten

Die Eheleute Ehlers starben 1953/54 und hinterließen einen Sohn Siegfried, der noch nicht volljährig war. Aber er wurde vom Gericht 1955 mit knapp 20 Jahren für mündig erklärt und konnte das Gasthaus, in dem er drei Gastzimmer einrichtete, und den Kohlen- und Brennstoffhandel seiner Eltern weiterführen.

Aber mit der zunehmenden Qualität des Flaschenbieres und dem Aufkommen des Fernsehens brachen schlechte Zeiten für die Wirtshäuser an. Zunächst hatten sie noch Zulauf, wenn sie einen Fernseher hatten und die Leute dort Sport- oder Unterhaltungsprogramme ansehen konnten. Aber als jeder selbst sein Heimkino hatte, reduzierte sich die Zahl der Lokale, und 1963 schloß Siegfried Ehlers seine Gaststätte.

Gastwirtschaft Barsch

Bis 1983 gab es noch eine alte Dorfkneipe in der Maschstraße 35, wo vorwiegend der Mittelstand verkehrte. Der Wirt war Robert Barsch, der gerne mal mit seinen Gästen Skat spielte.

Bis in die 1930er Jahre war hier für die männlichen Mitglieder der jüdischen Schlachtersfamilie Blumenthal von gegenüber, ebenso sozialer Treffpunkt wie für den Rest der Einwohner des Dorfes. So schreibt Werner Blumenthal in seiner Familienchronik (2003), wo er von den Ferienbesuchen bei seinen Großeltern und deren erwachsenen Söhnen in Rössing berichtet. Diese Großeltern Moritz (1858 – 1930) und Sophie Blumenthal (1866 – 1930) sind die letzten, die auf dem jüdischen Friedhof noch friedlich beerdigt sind.

Zu Beginn der 1970er Jahre übernahm Familie Beelte für einige Jahre die Gaststätte Barsch, bis sie sich 1974 mit einem neuen Restaurant und Kegelbahn in der Straße „Zum Klay“ selbstständig machte. Danach wechselten die Pächter kurzzeitig, einer davon hieß Meyer, ein anderer war Jochen Hacke, ein junger Mann. Es kann sein, daß es noch ein anderer Pächter versuchte, oder daß die Räume zwischenzeitlich als Wohnräume genutzt wurden. Jedenfalls eröffnete Dr. med. Uwe Gronau, Facharzt für Allgemeinmedizin, nach einem großen Umbau am 1. Juli 1983 in den Räumen der ehemaligen Gaststätte Barsch seine Praxis. Dort hatte sie bis 1992 ihr Domizil, bis Dr. Gronau sie in sein neu erbautes Haus in der Clausstraße Nr. 2 verlegte.

Doch mit des Geschickes Mächten…

Ecke Kirch- und Maschstraße (heute Konstantki) existierte nach dem Kriege eine Kneipe, die Stefan Sambolski und danach Christel Moses mit ihrem Mann bewirtschafteten. Aber wie lange sie dort schon bestand, als Ruth und Kurt Gebhardt sie im Jahre 1968 pachteten, war nicht zu ermitteln. Im Herbst 1971 brannte das Lokal ab, ein Schwelbrand hatte ein Feuer entfacht und vernichtete die Gaststätte.

Das Ehepaar Gebhardt baute daraufhin in seinem Wohnhaus Maschstraße 21 die unteren Räume zu einer Gastwirtschaft um und eröffnete sie im Sommer 1972. Nach 11 Jahren verpachteten sie diese an einen Herrn Jennett, der aber schon drei Jahre später verstarb. Von 1983 bis 1986 übernahm sie Herr Prambucka als Pächter und von April bis Oktober 1987 führten Ruth Gebhardt und ihre Tochter Julia noch einmal Regie, aber dann schloß das Lokal seine Pforten. Die Räume wurden umgebaut und das Haus dient seitdem nur noch Wohnzwecken.

Die Danziger Stuben

Familie Beelte baute 1974 an der Straße „Zum Klay“ eine neue Gaststätte mit Kegelbahn und einem Saal. Viele Familienfeste, Vereinsversammlungen und -feiern und der obligatorische Trauerkaffee nach der Beerdigung fanden dort statt. Beeltes bauten Duschen für die Sportler des nahen Sportplatzes ein, die anschließend ihren Durst im Lokal löschten. Aber als die Sportler ein eigenes Sportheim bauten, wurden die Duschen nicht mehr gebraucht.

1989 wurde Frau Beelte sehr krank und mußte aufgeben. Beeltes verkauften alles an ihren Bierlieferanten Sauk in Harsum, und von diesem pachtete Familie Eberhard Asche-Jost aus Hannover die Gaststätte für fünf Jahre. Aber die Glanzzeit war vorüber. Das Dorfgemeinschaftshaus in der alten Schule zog viele Veranstaltungen an sich, die früher in der „Kneipe“ stattfanden. Die ständig verschärften Alkoholverbote taten das Ihre.

Doch dann kaufte Familie Ludwig die Gaststätte mit Wohnhaus und Kegelbahn und führte sie15 Jahre, vom Januar 1995 bis 2010. Herr Ludwig stammte aus Danzig und so nannten sie die Gaststätte in Erinnerung an ihre alte Heimat „Danziger Stuben.“ Das war eine gute Idee, so mancher Passant stutzte, hielt an, weil er an seine Heimat erinnert wurde und kehrte ein. Frau Jadwiga, Wirtin aus Passion, und eine gute Küche taten das Ihre, alles lief gut.

Vorher hatten Ludwigs eine Gaststätte in Himmelsthür betrieben- und das Leben eines Wirtes ist anstrengend. Aus gesundheitlichen Gründen schlossen sie den Betrieb zum 1. Januar 2010, obwohl Frau Jadwiga vielleicht ganz gerne noch ein bißchen weiter gemacht hätte, weil ihr der Beruf Spaß machte und sie gerne Menschen um sich hat.

Olav Büsing pachtete die Gaststätte und taufte die „Danziger Stuben“ um in „Olavs Büro“.

Aber das war nur eine Episode, er blieb nicht einmal zwei Jahre.

Am 1.12.2011 pachtete Heiko Hecht von „Alt Rössing“ die ehemaligen „Danziger Stuben“ von Familie Ludwig für größere Veranstaltungen und die Kegelrunden.

Die Turnhallen-Gaststätte „Zum Dorfbrunnen“

Als sich 1978 der Herzenswunsch der Turner erfüllte und die Turnhalle gebaut wurde, gehörte natürlich auch eine Vereinsgaststätte dazu.

Die erste Pächterin war Annie Biermann mit ihrem Mann Wilhelm. Nachdem Rodewald geschlossen hatte, übernahmen sie vom 1.1.1978 bis 1.3.1980 die Gastronomie.

Danach folgte Gisela Gebhardt bis 1985 und dann Ehepaar Hannke bis zum Februar 1991.

Seitdem hat die Familie Tietke die Bewirtschaftung übernommen. Das Lokal hat inzwischen auch einen Namen bekommen. Da es auf dem Gelände eines alten Fischteiches steht, das

einen hohen Grundwasserstand hat, wurde ein schöner Brunnen angelegt und aus der „Turnhallen-Gaststätte“ wurde „Zum Dorfbrunnen.“

Im „Dorfbrunnen“ versorgt Familie Tietke die Rössinger nach ihrem Sport mit Speis und Trank. Auch der neugegründete Tennisverein, der direkt daneben liegt und 1989 seinen Spielbetrieb aufnahm, profitiert davon.

Nun hat die junge Generation die Arbeit übernommen und Kerstin Tietke führt seit März 2011 den Betrieb.

Das „Rössinger Bierstübchen“ und „Alt Rössing“

In der Friedrichstraße Nr. 8 war viele Jahrzehnte die Schlachterei Küke ein Begriff.

Als 1982 der Junior Werner Küke den Betrieb übernahm, gehörten auch schon andere Lebensmittel als Fleischwaren zum Sortiment. Aber das Aufkommen der Supermärkte schreckte ab. Die jungen Leute entschlossen sich zu einem radikalen Umdenken und bauten die Räumlichkeiten zum „Rössinger Bierstübchen“ um.

1987 wurde Annie Biermann die erste Pächterin, vielen noch aus ihrer Zeit in der Rodewaldschen und der Turnhallen-Gaststätte bekannt. Sie hielt 11 Jahre durch, bis zum 31.12.1998.

Danach kam Gisela Gebhardt für sechs Jahre. Markus Roland, ihr Nachfolger, verpaßte dem „Bierstübchen“ einen neuen Namen, er nannte es „Alt Rössing“. Aber trotzdem faßte er nicht richtig Fuß.

Nach vier Jahren, am 18.Februar 2008, übernahm Heiko Hecht „Alt Rössing“.

Er hat allerlei neuen Ideen wie den „musikalischen Früh- und Dämmerschoppen“ oder andere „Events“ und pachtete am 1.12.2011 die verwaisten Danziger Stuben mit Saal und Kegelbahn dazu, um auch größere Veranstaltungen durchführen zu können

Nun ist es wieder wie früher in Rössing, es hat nur zwei Dorfkrüge, den „Dorfbrunnen“ und „Alt Rössing“, und die werden uns hoffentlich erhalten bleiben.

Quellen: Helfrich Bernhard Wenck, Hessische Landesgeschichte Bd.2, UB, Heberolle u. Gefälle des

Klosters Helmarshausen, Frankf.Leipzig 1789

NHSA Hann.74 Cal Nr. 291, 294, 730, 731, 739, 1120.